Konflikte lösen in 4 Schritten

Mein Name ist Wolf.

Regine Wolf.

Aufgewachsen bin ich mit der Wolfssprache :-).

Doch seit Jahren übe ich die Giraffensprache.

WARUM?

Nein, nicht weil jemand zu mir sagte, ich hätte einen langen Hals und würde einer Giraffe ähneln.

Sondern weil Eltern viel dazu beitragen können, dass die Kommunikation mit ihren Kindern und Teenagern gelingt.

Streit gibt es häufig deshalb, weil wir aneinander vorbeireden und uns nicht wirklich verstehen.

Giraffe und Wolf dienen als Symbole in dieser Sprache.

Die Giraffe hat einen langen Hals, mit dem sie alles überschaut und den Überblick behält.

Sie ist das Landtier mit dem größten Herzen und verkörpert daher die achtsame Herzenssprache, mit der wir uns viel besser verstehen als mit der automatisierten, bewertenden und urteilenden Wolfssprache – nach dem Motto: “du bist schuld”.

Die Methode der Gewaltfreien Kommunikation eignet sich hervorragend, um Konflikte zu lösen – in jedem Alter  – und nicht nur mit deinem Kind :-)

Und sie zeigt Wirkung auf allen Ebenen – im Job, in der Beziehung, mit unseren Eltern, Freunden und Bekannten – bei jedermann.

Erst letztes Wochenende habe ich wieder ein weiteres Fortbildungs-Seminar zur Gewaltfreien Kommunikation besucht. Was für eine Bereicherung!

Ich kann gar nicht genug davon bekommen, mich darin weiterzubilden und zu üben.

Deshalb möchte ich meine Erfahrungen gerne weitergeben und mit euch teilen.

Wer die GFK schon kennt, steigt einfach in der Mitte des Artikels ein.

 

Gewaltfreie Kommunikation – was ist das?

Ich ging 21 Jahre lang zur Schule bzw. zur Universität und ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals jemand gefragt hätte, wie ich mich fühle oder was ich brauche. Stattdessen lehrten sie mich Dinge wie “richtig” und “falsch”, “gut” und “schlecht”, um in ein System zu passen, das Menschen anhand dieser Standards bewertet.

Marshall B. Rosenberg

Erkennst du dich wieder?

Geht es deinem Kind genauso und – willst du das???

Oder möchtest du eine Kommunikationsform, in der du dich mit deinem Kind verbindest, eine die eure Beziehung stärkt?

Wenn du dich entschieden hast, lies weiter – oder eben nicht.

Der US-amerikanische Psychologe und Mediator Marshall B. Rosenberg – der leider letztes Jahr verstorben ist – hat die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) entwickelt.

Über Jahre hinweg hatte er beobachtet, wie der übliche Gebrauch von Sprache immer wieder

  • Missverständnisse hervorruft,
  • Menschen kränkt,
  • zu privaten, sozialen und politischen Konflikten führt,
  • Konflikte oft eher weiter verschärft,
  • nicht wirklich geeignet ist, Konflikte zu lösen, und
  • sogar direkt in verbale und nonverbale Gewalt münden kann.

Das alles regte ihn dazu an, eine Kommunikationstechnik zu entwickeln, die den Menschen hilft, respektvoll miteinander umzugehen, ohne sich gegenseitig zu verletzen – sprich: gewaltfrei zu kommunizieren – und sich gegenseitig besser zu verstehen.

 

FAZIT:

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist eine lösungsorientierte Kommunikation.

Ihr Ziel ist es: Konflikte zu vermeiden, zu entschärfen oder zu lösen.

 

Ich weiß, Gewaltfreie Kommunikation klingt zunächst mal gar nicht so freundlich, stimmt’s?

Ein kleiner Exkurs dazu, warum du das eventuell so empfindest:

Das mag an einem anderen Phänomen liegen, nämlich dem, dass selbst wenn wir etwas verneinen, wir trotzdem genau an diese Worte denken – sogar umso mehr!

Beispiel: Denke jetzt auf keinen Fall an einen rosa Elefanten – und – was hast du gerade vor deinem inneren Auge gesehen – an was hast du gedacht? :-)

Das nur am Rande – also wenn du willst das dein Kind den Stapel Geschirr sicher zum Tisch bringt dann sag ihm – “halt die Teller und Tassen gut fest” anstelle von “lass das wertvolle Geschirr nicht fallen”.

Die Gewaltfreie Kommunikation heißt so, weil Marshall B. Rosenberg diese Kommunikationstechnik vor allem auch in schwierigen politischen Konflikten eingesetzt hat – da war der Name wohl passender als wertschätzende oder gesunde Kommunikation.

So  – worum geht’s jetzt?

Bist du mit der GfK schon vertraut?

Falls nicht – hier die Grundlagen im Schnelldurchlauf:

Übrigens: am 23. April 2016 gibt es in Stuttgart den 4. GFK-Tag mit namhaften Referenten.

Darum geht’s: das Menschenbild der GFK

  1. JEDEM Verhalten liegt die Erfüllung eines Bedürfnisses zugrunde. (Bedürfnisse sind abstrakt und universell gültig, d. h. )
  2. Jeder Mensch trägt gerne zum Wohle anderer bei wenn:
    • er es freiwillig tun kann
    • er dabei authentisch bleiben kann
    • er sicher sein kann, dass sein Bedürfnis auch berücksichtigt wird
  3. Jeder Mensch erfüllt sich seine Bedürfnisse lieber mit Kooperation als mit Gewalt
  4. Menschen wenden nur dann Gewalt (auch verbal gesehen) an, wenn sie keine andere Möglichkeit sehen für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu sorgen.

Das brauchst du: dich und deine Präsenz

Um GFK zu praktizieren brauchst zu nichts.

Nichts weiter als dich selbst.

Die Methode ist im Grunde ganz einfach und baut auf Fähigkeiten auf, die du ohnehin mitbringst.

Nur trainieren musst du sie. Du solltest also:

  • den Mut aufbringen, umzudenken und dich auf Neues einzulassen
  • in Gesprächen und Diskussionen immer wieder innehalten und nachdenken, also ungewohnte Pausen einlegen und ertragen sowie
  • viel üben.

Das Wichtigste ist, dass du geduldig mit dir bist.

Nicht perfekt sein möchtest.

Kein Kind möchte perfekte Eltern!

Sondern Eltern, die sich mit ihm gemeinsam auf den Weg machen, seine Bedürfnisse erkennen und respektieren.

Es ist ganz normal anfangs “Fehler” zu machen, oder in gewohnte Muster zu verfallen.

“Aufstehen und weitermachen” ist die Devise. Sobald sich erste Erfolge einstellen, merkst du, dass sich die Mühe gelohnt hat :-).

Und sie werden sich einstellen, da bin ich  mir ganz sicher!

 

Das sind sie: die 4 Schritte der GFK

 

Schritt #1

Beobachtung

Beobachte dein Kind, ohne sein Verhalten zu bewerten.

“ich habe gehört, gesehen, gelesen,…..” – statt “hier sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa …”

Manchmal gar nicht so leicht. . . . die guten alten Redewendungen außen vor zu lassen :-)

Wertfreies Beobachten hilft, in schwierigen Situationen einen Gesprächseinstieg zu finden.

Um wertfrei zu beobachten, frage dich:

  • Was habe ich beobachtet?
  • Was wurde gesagt und getan?
  • Was ist wertfrei betrachtet geschehen?

ÜBUNG:

  1. versuche deine Umgebung einfach immer wieder mal nur zu beobachten, ohne sie zu bewerten oder zu interpretieren
  2. übertrage dies auf dein Kind: Was nimmst du wahr? Was beobachtest du z.B. das Kind liegt auf dem Bett. (Vorsicht: “faul” und “Zeit verplempern”. “die Schule nicht ernst nehmen”,  sind Wertungen und Interpretationen!)

 

Schritt #2

Gefühle

Beim zweiten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation geht es um die Wahrnehmung von Gefühlen.

Erspüre die Gefühle, die das Verhalten bei dir auslöst und benenne sie.

Unterscheide dabei zwischen Gefühlen und Gedanken!

Puh – keine leichte Aufgabe.

Wir sind nämlich meist nicht sonderlich geschult darin, unsere Gefühle wirklich zu spüren.

Am Anfang kommt oft nur “ich bin ärgerlich” als Gefühl hoch, das du benennen kannst, viele Gefühlsregungen lassen sich erst durch Übung differenzierter benennen.

Bleiben wir kurz bei diesem

Beispiel:

Aussagen wie “Ich habe das Gefühl, dass du mich ärgern willst” ist kein Ausdruck deines Gefühls, sondern eine Aussage über einen Gedanken inklusive Bewertung des Verhaltens und einer Unterstellung nach dem Motto: Der andere ist schuld! So wird die Äußerung verständlicherweise oft als Vorwurf empfunden.

Mit “ich bin ärgerlich” drückst du hingegen deine eigene Empfindung aus UND übernimmst gleichzeitig die Verantwortung dafür.

WICHTIG: Angenehme oder unangenehme Gefühle deuten auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse hin.

Alle Menschen verfügen grundsätzlich über denselben Gefühlsschatz.

Und zwischenmenschliches Vertrauen entsteht über gegenseitige Einfühlung.

Um Gefühle zu erkennen, frage dich:

  • Wie geht es dir mit dem Gehörten, Gesagten, Beobachteten . . .?
  • Wie fühlst du dich dabei?
  • Was löst das bei dir aus? (Ärger, Freude, Wut, Zufriedenheit . .  .)

Übung:

Übe in allen Alltagssituationen. An der Supermarktkasse, wenn du angemeckert wirst, im Restaurant, wenn man dich warten lässt.

Aber auch in angenehmen Situationen. Schärfe deine Sinne und dein Herz!

 

Schritt #3

Bedürfnisse

Erkenne deine Bedürfnisse, die deinen Gefühlen zugrunde liegen!

Alles was wir tun, tun wir um ein bestimmtes Bedürfnis zu erfüllen.

Konflikte entstehen, wenn die Bedürfnisse des einen auf Kosten des anderen befriedigt werden.

Bedürfnisse sind universell. D.h. Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Nahrung. Die einen mögen gerne Steaks, die anderen lieber Rohkost.

Ein Gespräch über die individuellen Bedürfnisse erzeugt gegenseitiges Verständnis.

Über die Strategien zur Erfüllung des Bedürfnisses lässt sich vortrefflich streiten :-)

 

Beispiel:

Dein Mann möchte heute Abend mit dir zusammen sein und hat die Idee, ins Hallenbad zu gehen.

Du möchtest lieber mit ihm zu Hause bleiben. Beide habt ihr das Bedürfnis nach Nähe und gemeinsamer Zeit mit dem Partner, doch jeder verfolgt eine andere Strategie.

Gewaltfreie Kommunikation zielt auf Lösungen ab.

Um Bedürfnisse zu erkennen, frage dich:

  • Was genau ist dir wichtig?
  • Worum geht es dir?
  • Was soll sich dabei für dich erfüllen?

 

Übung:

Wenn du einen Konflikt mit deinem Kind hast, frage dich: welches deiner Bedürfnisse wird eventuell gerade nicht erfüllt? Und spüre genau hin. Manchmal braucht es ein wenig, um dir da selbst auf die Spur zu kommen.Ist es das Bedürfnis nach Unterstützung, Ordnung, Verständnis, Respekt, Nähe, Wertschätzung . . .  Lass dir Zeit – du wirst es rausfinden.

 

Schritt #4

Bitten

Sag was du willst, nicht was du nicht willst.

Im vierten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation stellst du eine Bitte.

Du teilst deinem Gegenüber in Form von einer Bitte mit, wie du dir die Erfüllung deiner Bedürfnisse konkret vorstellst.

Achtung: du bittest – du stellst keine Forderung!

Wo ist jetzt da der Unterschied???

Wenn du deinem Gegenüber, deinem Kind, die Wahl lässt, über die Erfüllung deiner Bitten frei zu entscheiden, erhöhst du die Bereitschaft

  • der gegenseitigen Einfühlung,
  • flexibler Verhandlungen und
  • guten Lösungen

 

Beispiel:

“Räum bitte deine Schuhe auf – jetzt sofort!” ist eine Forderung, selbst wenn das Wort “bitte” enthalten ist. Sobald das Kind keinen Freiraum hat, auf die Bitte mit Nein zu antworten, ohne dass es dafür bestraft oder gemaßregelt wird – stellen wir eine Forderung!

Frage dich:

  • Wie stellst du dir den nächsten Schritt vor?
  • Worum möchtest du bitten?
  • In welcher Form kann dein Gegenüber dich bei der Erfüllung deines Bedürfnisses (nach Ordnung, Ruhe, Freiheit etc.) unterstützen?

Übung:

Prüfe zuerst, ob dein Kind überhaupt in der Lage ist, dein Bedürfnis zu erfüllen oder zumindest dazu beizutragen.

Besonders im Umgang mit Jugendlichen ist es wichtig zu differenzieren: Stelle ich eine Forderung oder äußere ich eine Bitte?

Besonders in Konfliktsituationen solltest du versuchen herauszufinden, was dein Kind fühlt und was es sich wünscht.

Das kannst du durch aktives Zuhören erreichen (dazu kommen wir in einem der nächsten Blogartikel), so lange, bis du es verstanden hast.

Wenn du deinem Kind dabei hilfst, seine Gefühle zu benennen und seine Wünsche konkret zu äußern, dann kannst du Konflikte schneller lösen.

Mit der GFK hast du ein geeignetes Handwerkszeug, um dich deinem Kind gegenüber offen und klar zu äußern und dein Kind besser zu verstehen.

 

Zum Abschluss noch ein Praxis-Beispiel:

 

Ohne GFK:

Max (14) schreit: Ich will aber länger weg bleiben! Ist mir doch egal, was du sagst!

Du: So nicht – nicht in diesem Ton. Das war’s mit der Party, ab auf dein Zimmer.

Alle Beteiligten sind unzufrieden. Du bist wütend, Max frustriert.

 

Mit GFK:

Max (14) schreit: Ich will aber länger weg bleiben! Ist mir doch egal, was du sagst!

Du: (merkst, dass du ärgerlich wirst und spürst dein Bedürfnis, nicht angeschrien zu werden? Wenn du es in dem Moment aushalten kannst, brauchst du nicht darauf einzugehen und kannst dich deinem Sohn und seinen Gefühlen widmen:) – falls nicht, sage bspw.: ich höre, dass du sehr wütend bist und merke, dass ich selbst ärgerlich werde, weil ich möchte, dass wir respektvoll miteinander umgehen. Bitte lass uns darüber reden, wenn wir beide ruhiger sind. Wollen wir uns in 10 Minuten treffen?)

Du:Macht es dich wütend, dass du nicht länger als 22 Uhr wegbleiben darfst?

Max: Ja, und wie! Tim darf mindestens bis 23 Uhr dort bleiben!

Du: (fragst, ob du ihn richtig verstanden hast)

Es macht dich also wütend, dass du nicht so lange auf die Party darfst wie dein Freund?

Max: Ja, logisch! Ich will auch so lange bleiben.

Du: Fühlst du dich ungerecht behandelt?

Max: Ja, voll fies  – ich bin doch kein Baby mehr!

Du: Ich sehe, dass dich das ärgert. Und nun wünschst du dir, dass du auch so lange wegbleiben darfst?

Max: Ja – fänd ich echt toll.

Du: Ich verstehe, dass du dir das wünschst. Ich denk’ drüber nach, ob wir das so machen können.

 

Egal, ob Max bis 23 Uhr wegbleiben darf, oder nicht, sind bereits einige seiner Bedürfnisse erfüllt worden:

  1. Sein Bedürfnis, in seiner Wut verstanden zu werden
  2. sein Bedürfnis angehört zu werden

Jugendliche geht es in erster Linie darum, ernst- und wahrgenommen zu werden – nicht rüchsichtslos ihren Willen durchzusetzen.

Wie Gefühle entstehen, wer die Verantwortung dafür trägt, wie du Ärger auflöst, Empathie von Sympathie unterscheidest, was Gefühle sind – was Gedanken und – wie der Giraffentanz geht, erfährst du in weiteren Beiträgen – wenn du magst.

Deshalb schreib’ gleich hier in die Kommentare – welches Problem dir am meisten unter den Nägeln brennt – und wovon du gerne mehr erfahren möchtest.

Gerne auch auf Facebook :-)

 

Quellen und Buchempfehlungen:

Marshall B.Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens

Frank und Gundi Gaschler, Ich will verstehen, was du wirklich brauchst

Jan Uwe Rogge, Pubertät Überlebens-Brief